Aktuelles

Wir helfen sechsbeinigen Helfern

In eigener Sache: AG Nachhaltigkeit und Tschira-Jugendakademie boten in einem Insektenschutzworkshop viel Wissen rund um die Krabbeltiere an

Heidelberg. Es war ein Experiment: Die Tschira-Jugendakademie bietet einen Insektenschutzworkshop für die AG Nachhaltigkeit der Klaus Tschira Stiftung und die mit ihr verbundenen Institutionen an. Nach drei Stunden, mit einem Teil der Teilnehmenden online und einem Teil vor Ort in der Tschira-Jugendakademie, lautet die einhellige Meinung: Experiment gelungen und ganz bestimmt eine Wiederholung wert.

Viel gelernt, viel erlebt und jede Menge gebastelt. Entstanden sind ein Insektenhotel für Wildbienen aus Ton im Blumentopf, ein Unterschlupf für Ohrenkneifer und etliche Samenbomben aus einheimischen Gewächsen. Und ganz am Ende nimmt jeder und jede auch noch eine kleine, selbst gemachte Biosphäre mit nach Hause.

Viele Mitarbeitende aus der Villa Bosch oder dem HITS lieben den großen Garten um ihre Arbeitsstätte am Schloss-Wolfsbrunnenweg in Heidelberg. Dass der Garten nicht nur aus Pflanzen, sondern auch aus jeder Menge tierischem Leben besteht, ist klar. Unterschätzt wird jedoch oft die entscheidende Rolle von Insekten, die jedem Garten erst zum Blühen verhelfen. Darüber wollte die AG Nachhaltigkeit mehr erfahren und ganz nebenbei auch noch lernen, wie man den Krabbeltieren helfen kann. Und wer wäre dafür besser geeignet als Nina Schaller, promovierte Biologin und Leiterin der Tschira-Jugendakademie, Kristina Eck, Doktorin der Paläontologie, sowie Rikk Villa, der in der Tschira-Jugendakademie für Organisation und Entwicklung zuständig zeichnet.

Das Team der Tschira-Jugendakademie in Aktion: von links Nina Schaller, Kristina Eck und Rikk Villa. Fotos: Baumbusch

Das Trio weiß, dass man am besten schützt, was man kennt. Ihre Pädagogik ist theoretisch solide fundiert, aber immer praktisch orientiert, so dass Kleine und Große ganz viel mitnehmen können, im übertragenen wie im eigentlichen Sinn des Wortes.

Die Teilnehmenden vor Ort dürfen vorab in der Tschira-Jugendakademie schon mal Libelle, Stubenfliege, Schabe und Schrecke unters Mikroskop legen und genauer angucken. Wir erfahren, dass Libellenlarven im Wasser über den Enddarm atmen und dass Facettenaugen zu unheimlich schnellem Sehen befähigen. Kein Wunder, dass sich Mücken so schlecht fangen lassen. Eine Libelle sieht 250 Bilder in der Sekunde, wir Menschen nur 14 bis 16. Viele Insekten wie beispielsweise Fliegen haben überdies Härchen an den Gliedmaßen. Daran befinden sich Sinneszellen, sie riechen also quasi mit den Füßen.

Insektenworkshop: viel über die Krabbeltiere lernen und selbst etwas basteln, um diese nützlichen Tiere zu schützen.

Schon hier wird deutlich, wie ausgeklügelt diese kleinen Organismen an ihre Lebensweise angepasst sind und wie wundervoll die Kreisläufe in der Natur funktionieren, aber auch, wie fatal es sein kann, wenn sie unterbrochen werden. Zwar ist das Leben an sich ebenso wie die Erde ausgesprochen stabil. Doch, wenn wir mit der Vernichtung der Umwelt so weiter machen, wird der Homo sapiens eines Tages eine weitere ausgestorbene Primatenart sein. „Wir zerstören gerade unsere Lebensgrundlage“, sagt Kristina Eck. Wenn es keine Insekten mehr gibt, die Pflanzen bestäuben, fehlt den Menschen eine wichtige Ernährungsgrundlage.

Gemeinsam ist allen Insekten, dass sie sechs Beine haben und in drei Abschnitten, nämlich Kopf, Brust und Hinterleib gegliedert sind. Diesem immer gleichen Bauplan folgen Ameisen, Bienen, Käfer, Schmetterlinge, Gottesanbeterinnen und alle anderen Insekten. Gemeinsam sind ihnen auch die beiden Abwehrstrategien, entweder so tun, als wären sie nicht da (tarnen) oder so tun, als sei man sehr giftig (beispielsweise durch bestimmte Farben). Anders als wir atmen sie nicht aktiv durch Lungen, sondern passiv durch starre Röhren im Inneren ihres Körpers.

Manche Menschen haben Angst vor Insekten, andere empfinden Ekel. „Vieles davon ist anerzogen“, weiß Nina Schaller. Sie hat Stabschrecken aus eigener Zucht mitgebracht. Die Pflanzenfresser mit dem langgezogenen Leib krabbeln über unsere Hände und sind faszinierend anzusehen. Außerdem inspirierend für die Technik. Nicht ohne Grund hat sich die Robotik von ihrer Art über schwieriges Gelände zu gehen, die Fortbewegung abgeschaut.

Begonnen hat die Geschichte der Insekten vor 480 Millionen Jahren im Wasser mit den Trilobiten, den meeresbewohnenden und heute ausgestorbenen Gliederfüßern. Und es ist eine Erfolgsstory geworden. Die Biomasse aller Menschen auf der Welt entspricht der aller Ameisen auf der Welt – und das ist nicht einmal die größte Gruppe unter den Insekten. Eine Milliarde Insektenarten gibt es. Mehr als 560 davon sind in Deutschland Bienen. Sie sind dafür verantwortlich, dass wir Melone, Kürbis, Apfel, Kakao, Kaffee, Zitrone, Bohne und Tomate kennen. Würden Insekten nicht mehr bestäuben, würden wir binnen weniger Jahre den Großteil unserer Lebensmittel missen.

Doch die Insektendichte nimmt rapide ab. In den letzten 25 Jahren ist bei uns ein Rückgang von 75 Prozent zu konstatieren. Ursachen sind Intensivlandwirtschaft, Pestizide, Insektizide, Versiegelung des Bodens, der Rückgang von Mooren, Wiesen und Wäldern und natürlich die Erderwärmung.

Und ganz am Schluss blasen wir unseren Aus-Atem, also Kohlendioxid, in ein kleines Bonbonglas und schließen den Deckel: unsere eigene, kleine Biosphäre ist fertig.

Dem wollen wir an diesem Nachmittag nicht tatenlos zusehen. Deshalb bauen wir ein Insektenhotel für Wildbienen. Dafür geben wir Ton in einen ebenfalls tönernen Blumentopf, durch dessen Loch im Boden wir zuvor eine Drahtschlinge gezogen haben. Dann schieben wir Holzstäbchen in den feuchten Ton und ziehen sie wieder heraus. So entsteht eine glatte Bruthöhle für die Wildbiene. Aus dem restlichen Ton basteln wir kleine Samenbomben, indem wir ein wenig Erde und heimische Samen ins Innere eines Tonschälchens geben und diese Masse dann zu einer Kugel zusammenkneten. Für den nützlichen Ohrenkneifer fertigen wir einen Unterschlupf aus Wellpappe. Die rollen wir in eine Kunststoffröhre und versehen das Ganze mit einem kleinen Dach und einem Draht, so dass das Ohrenkneifer-Zuhause im nächsten Frühjahr in die Obstbäume gehängt werden kann.

Und ganz zum Schluss kommt dann noch das kleine Bonbonglas zum Einsatz. Fest verschließbar ist es. Hinein geben wir ein paar Steine, ein wenig Erde, ein bisschen Moos, ein paar Löffel Wasser und ein bisschen Deko in Form von Schneckenhäuschen oder Eicheln. Dann blasen wir noch kräftig mit unserem Aus-Atem Kohlendioxid hinein und dann kommt schnell der Deckel drauf. Ein berührender Moment, so eine kleine, zarte Welt in Händen zu halten.


Zahlen und Fakten:

  • Die Anzahl aller bekannter Arten von Lebewesen: zwei Millionen; die Anzahl bekannter Arten von Insekten: eine Million.
  • Zu den Insekten gehören unter anderem: Käfer, Schmetterlinge, Bienen, Wespen, Ameisen, Fliegen, Mücken, Wanzen, Heuschrecken, Libellen, Blattläuse….
  • Was macht ein Insekt zum Insekt? Das Außenskelett aus Chitin mit den drei Körperabschnitten Kopf, Brust und Hinterleib, sechs Beine, Fühler am Kopf, Flügel sowie Facettenaugen und ein Grundbauplan der Mundwerkzeuge, der bei allen Insekten gleich ist.
  • Die ersten Insekten sind vor 480 Millionen Jahren entstanden. Als vor 140 Millionen Jahren die ersten Blühpflanzen ihre Pracht entfalteten, explodierte die Artenvielfalt unter den Insekten.
  • Die Insektengröße ist gekoppelt an Wärme und Sauerstoffgehalt der Luft: Super-Insektenmonster, wie wir sie aus Science Fiction-Filmen kennen, sind also gar nicht möglich.
  • Viele Arten, viele Individuen: Die Masse aller Wildtiere auf dem Festland beträgt 1 Milliarde Tonnen, davon machten Insekten 0,9 Milliarden Tonnen aus. Die Masse aller Menschen beträgt 0,4 Milliarden Tonnen, das entspricht der Masse aller Ameisen.
This site is registered on wpml.org as a development site. Switch to a production site key to remove this banner.