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„Das hat enormes Transferpotential“ – „Sportistry“ im Praxistest

Das Förderprojekt der Klaus Tschira Stiftung vereint Chemie mit Sport- und Gesundheitswissenschaften

Interdisziplinäres und kritisches Denken fördern – das will das Team um Michael Fröhlich und Johann-Nikolaus Seibert von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) mit ihrem Projekt „Sportistry“. Am Beispiel Ernährung und Energiebereitstellung verbinden sie Inhalte aus Chemie und Sport sowie Gesundheit miteinander. Die Klaus Tschira Stiftung ermöglicht mit dem Projekt ein fächerübergreifendes Lehr- und Lernkonzept, das sowohl Studierenden als auch Schülerinnen und Schülern der Oberstufe als frei verfügbare Bildungsmaterialien zur Verfügung stehen soll. Nach zwei Praxistests mit Studierenden der Fachrichtungen Chemie, Sportwissenschaften und Gesundheit kam „Sportistry“ auch bei Schülerinnen und Schülern zum Einsatz. Die kontroverse Problemfrage lautet: „Ist die Verwendung von Zuckerersatzstoffen sinnvoll?“

Ein Gang führt über rote Fliesen und an blauen Spinden vorbei in einen Labortrakt. Ein typisches Chemielabor an der Universität, so scheint es. Links und rechts ertönen Stimmen von in weißen Laborkitteln gekleideten Menschen. Es sind keine Studierenden, sondern jeweils zwei bis drei Schülerinnen und Schüler, die an gut ausgeleuchteten Abzügen und Werkbänken experimentieren. Auf diesen liegt ein digitales Arbeitsblatt, dargestellt auf einem Tablet. Daneben: Bechergläser, Pipetten und Reagenzgläser, auf denen „Hühnerbrühe“ oder „Leberwurst“ zu lesen ist. Sie sind gefüllt mit blauen, schwarzen, grünen Flüssigkeiten.

„Die schwarze Farbe weist eine Carbonylgruppe nach“, erklärt eine Schülerin, „und damit das Vorliegen eines Zuckers.“ Interessiert wendet sie sich Laura zu, um sich von ihr die chemischen Vorgänge bei der Nachweisreaktion erläutern zu lassen. Die Studentin betreut ihre Gruppe als Expertin im Fachgebiet. Sie studiert Chemie und Biologie auf Lehramt und kann den Jugendlichen Rede und Antwort stehen. „Die Neugier der Schülerinnen und Schüler motiviert ungemein“, freut sie sich über das große Interesse.

Auch Johann-Nikolaus Seibert, Juniorprofessor für Fachdidaktik Chemie, zeigt sich zufrieden. Zusammen mit Michael Fröhlich, Professor für Sportwissenschaft, hat er das fast einjährige Projekt ins Leben gerufen. „Wir hatten überlegt, wie man didaktische Inhalte aus Chemie und Sport zusammenbringen könnte“, erzählt Fröhlich. Schließlich kamen sie auf das Thema Ernährung und Stoffkreisläufe. „Es geht uns auch darum, das Out-of-the-box-Denken zu fördern“, sagt Seibert. In vielen Berufsfeldern, nicht nur bei Lehrkräften, sondern auch in der chemischen Industrie brauche es Kompetenzen aus verschiedenen Fachgebieten. „Moderne Jobs fordern interdisziplinäres Denken“, meint Seibert.

„Unsere ganzheitliche Projektidee wäre so bei anderen Förderern nicht möglich gewesen“, betont Seibert. Alev Dreger, Förderreferentin für Bildung, freut sich, dass das Projekt zur Klaus Tschira Stiftung gefunden hat: „Bildung neu denken und umsetzen – dazu trägt das Projekt mit seinen interdisziplinären Ansätzen maßgeblich bei und hat damit einen echten gesellschaftlichen Mehrwert.“

Grischa studiert Sportwissenschaften und hat das Laborpraktikum ebenso wie Laura als Studienmodul im vorherigen Jahr absolviert. Besonders gefalle ihm daran, dass es etwas Praktisches ist. „Wir haben in unserem Studium zwar einen hohen praktischen Anteil, aber keine Labore“, erläutert er. Er betreut eine dreiköpfige Gruppe, die ihn mit Fragen zum Studium löchert.

Während der Versuche arbeiten die Teilnehmenden mit dem sogenannten „WAAGER“-Modell. Das Akronym setzt sich zusammen aus: wahrnehmen, analysieren, argumentieren, gewichten, entscheiden und reflektieren. Es existiert erst seit knapp anderthalb Jahren und unterstützt beim Umgang mit komplexen und kontroversen Fragestellungen. „Die Studierenden und Jugendlichen haben damit eine Strukturierungshilfe, die ihnen hilft kontroverse Themen strukturiert zu bewerten“, sagt Seibert.

Das Modell eigne sich gut für die Abiturvorbereitung, denn es fördere die Bewertungskompetenz von Schülerinnen und Schülern, auf die vermehrt innerhalb der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife Wert gelegt werden soll. „Leider ist es oft so, dass die Erkenntnisse aus der Forschung an den Unis verbleiben“, meint Carlo Dindorf, Postdoktorand im Fachgebiet Sportwissenschaft. Aus diesem Grund sollen die im Projekt entwickelten Lehrmittel als frei verfügbare Bildungsmaterialien herausgegeben werden.

Das Schülerlabor an der Uni sei ein großer Gewinn, meint eine der beiden Lehrerinnen der Chemie-Leistungskurse des Gymnasiums im PAMINA-Schulzentrum „Diese experimentellen Möglichkeiten haben wir in der Schule gar nicht“, sagt sie. Vom Mehrwert der Praxiserfahrung ist sie überzeugt.

Neben ihren Betreuerinnen und Betreuern steht den Jugendlichen auch ChatGPT zur Verfügung. Ab der Hälfte des WAAGER-Arbeitsblattes dürfen die Teilnehmenden das Large Language Model (LLM) um Rat fragen. Zum Beispiel beim Gewichten können sie dadurch weitere Kriterien ergänzen, auf die sie selbst nicht gekommen wären. Die Chats der Praktikumsteilnehmer werden aufgezeichnet, wodurch Seibert und sein Team die Herangehensweise der Fragestellenden untersuchen können. „Wir können schauen: Wer fragt denn wie? Wo liegen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen?“, erklärt er.

Fröhlich unterstreicht: „Wissen ist ein fluides Gut, das sich ständig ändert und durch die neuen Technologien jeder und jedem zur Verfügung steht.“ Es sei deshalb umso wichtiger, die Informationen von LLMs kritisch zu bewerten und zu reflektieren. „Die Lernenden müssen sich eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung zur Problemfrage überlegen“, erklärt Fröhlich weiter.

Lukas besucht den Chemie-Leistungskurs der 12. Klasse und findet das WAAGER-Modell sehr hilfreich. „Ich habe eine gute Übersicht erhalten, was beim Thema Zuckerersatzstoffe alles dahintersteckt“, sagt er. Mit dem Modell haben sie das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet, wissen jetzt, welche Zucker und Zuckerersatzstoffe es überhaupt gibt und wo Risiken liegen.

In Anschluss an die Laborarbeiten beginnt eine Evaluationsrunde. Über einen an die Tafel projizierten QR-Code können die Jugendlichen zu verschiedenen Fragen abstimmen oder auch individuelle Antworten abgeben. „Inwieweit hat sich deine Position gegenüber Zuckerersatzstoffen verändert?“ oder „Wie fandet ihr das Praktikum?“ heißt es. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv. Zum Abschluss fragt Seibert, wer sich nach den dreieinhalb Stunden voller Eindrücken vorstellen könnte, später Chemie oder Sport zu studieren. Und tatsächlich: Zwei Schülerinnen melden sich.

Die Auswertung des Projekts läuft, aber die Zwischenergebnisse deuten bereits an, dass der Sportistry-Ansatz aus Interdisziplinarität, WAAGER-Modell, LLM sowie Austausch zwischen Studierenden und Jugendlichen fruchtbar ist. Für Folgeprojekte gibt es schon viele Ideen –beispielsweise die Erweiterung auf andere Schülerlabore. „Ernährung ist chemisch sehr komplex. Die Thematik um Zusatz- und Ersatzstoffen in unseren Lebensmitteln kann man aber auch mit zehn Jahren schon verstehen“, betont Seibert. „Neben der Schule könnte der Lehr-Ansatz auch ins Referendariat übertragen werden“, erklärt Fröhlich. Auch in die Entwicklung von Lehrplänen könne es einfließen. „Das Projekt hat ein enormes Transferpotenzial“, hält Seibert fest.

 

Ansprechpersonen

Sportwissenschaft, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)
Prof. Dr. Michael Fröhlich; Dr. Carlo Dindorf
Kommunikation
Telefon: +49 631 205 5723; +49 631 205 5172
E-Mail: michael.froehlich@rptu.de; carlo.dindorf@rptu.de

Jun.-Prof. Dr. Johann-Nikolaus Seibert
Kommunikation
Telefon: +49 631 205 2990
E-Mail: johann.seibert@rptu.de

Klaus Tschira Stiftung
Alev Dreger
Förderreferentin Bildung
Telefon: +49 6221 533 119
E-Mail: alev.dreger@klaus-tschira-stiftung.de

Autor:

Kevin Pierre Hoffmann
Kommunikation
Telefon: +49 6221 533 191
E-Mail: kevin.hoffmann@klaus-tschira-stiftung.de

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