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Tübingen/Heidelberg
30. März 2023

Blended Learning – das Beste aus zwei Welten. Neues Format für Lehrkräfte-Fortbildungen bei Jugend präsentiert

Jugend präsentiert fördert die Präsentationskompetenz von Schüler:innen. Dazu veranstaltet das von der Klaus Tschira Stiftung ermöglichte Projekt nicht nur einen bundesweiten Wettbewerb, sondern bietet auch Fortbildungen für Lehrkräfte an. Diese geben ihr Wissen dann an die Schüler:innen und Kolleg:innen weiter. Seit September 2022 sind die Fortbildungen für Lehrkräfte, die sogenannten Multiplikatorentrainings, in einem neuen Format aufgestellt: dem „Blended Learning“.

Das Team um Carmen Lipphardt – stellvertretende Projektleiterin von Jugend präsentiert – entwickelte hier ein zukunftsweisendes Konzept, das dem veränderten Lernen gerecht wird. Im Interview verrät sie erste Erfahrungen aus der Praxis.

Was heißt Blended Learning?

Unter Blended Learning versteht man Lehr-Lern-Prozesse, die aus verschiedenen Formaten bestehen. Den Weg hin zu diesem Trainingsansatz haben wir in gewisser Weise schon früher eingeschlagen. Zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir aus einem kompletten Präsenzbetrieb mit mehrtägigen aufeinander aufbauenden Trainings für Lehrkräfte sehr schnell auf Online-Trainings umgestellt. Wir sind also von einem Extrem in das andere Extrem gegangen. Aus beiden Welten wollten wir das Beste mitnehmen und miteinander kombinieren. Blended heißt genau dies, man kombiniert verschiedene Lernformen miteinander, in unserem Fall Präsenz- und Online-Phasen sowie asynchrone Lerneinheiten.

Wie werden diese Online-Arbeitsphasen auf die Distanz denn gesteuert und koordiniert?

Dazu nutzt man idealerweise ein Learning-Management-System als technische Unterstützung, um ein gutes Konzept auch praktisch umsetzen zu können. Im Schulkontext ist moodle bereits etabliert, an das wir angeknüpft haben. Wir steuern den Lernprozess, indem wir z.B. entscheiden, wann welche Lerninhalte für die Lehrkräfte sichtbar sind. Dahinter stehen bewusste didaktische Entscheidungen. Da viele Inhalte aufeinander aufbauen, schalten wir Modul 4 beispielsweise erst frei, wenn Modul 1 fertiggestellt wurde.

Wie sah denn die Konzeptionierungsphase für dieses neue Trainingsformat aus? Wie viele Menschen haben wie lange daran gearbeitet?

Daran haben wir in Tübingen anfangs zu dritt und später kurz vor dem Start der Pilotphase zu viert circa ein Jahr lang gearbeitet. In Feedback- und Workshop-Phasen wurde das ganze Tübinger Team eingebunden. Das Berliner Jugend präsentiert-Team übernahm die aufwendige technische Infrastruktur und Werbung für das neue Konzept. An der Forschungsstelle gab es die ersten Recherchen im Sommer 2021. Das Besondere bei Jugend präsentiert ist die enge Anbindung an die Universität Tübingen. Uns war es wichtig, das neue Konzept forschungsbasiert aufzubauen. Zusammen mit den Evaluationen aus den Online-Trainings und den Erfahrungen aus dieser Zeit konnten wir gut einschätzen, was auch nicht funktioniert.

Lehrkräfte arbeiten bei einem Multiplikatorentraining an gemeinsamen Lösungen ©Gerhard Kopatz für Jugend präsentiert

Spannend. Was hat denn während der Online-Trainings nicht gut funktioniert?

Das waren die selbstgesteuerten Lernphasen. Da gab es sicher vielfältige Gründe und die Herausforderung war, aus diesen Fehlern zu lernen. Aus den Online-Trainings wissen wir, dass der Faktor der social presence sehr wichtig ist. Man muss also Menschen, die räumlich voneinander distanziert sind, miteinander verbinden. Diese Beziehungsebene ist sehr relevant für gemeinsames Lernen und Kooperation. In den früheren Online-Lernphasen haben wir es schon geschafft, ein gutes Gruppengefühl herzustellen, nur in die Selbst-Lern-Phasen hat sich das nicht übertragen. Daraufhin haben wir in der Ausarbeitung des neuen Konzepts darauf geachtet, mit einer gemeinsamen Präsenzphase zu starten, um ein starkes Gruppengefühl zu entwickeln.

Wie erreicht man so ein Gruppengefühl?

Da ist gegenseitiges Kennenlernen das Wichtigste. Das kann später auch die Motivation steigern, sich mit den verschiedenen Lernangeboten und Aufgaben zu beschäftigen. Kommunikation und Beziehungsaufbau helfen dabei, einen Zugang zum Projekt zu finden. Dadurch wird Jugend präsentiert greifbar und konkret. Das Multiplikatorentraining (MT) beginnt nach der Anmeldung mit einer anderthalbtägigen Präsenzphase, in der der gemeinsame Abend zwischen den Seminartagen eine informelle Möglichkeit bietet, um sich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Danach erstreckt sich das MT über vier bis fünf Wochen, findet also nicht wie vorher in einem einzigen Präsenzblock statt. Wir enden mit einer gemeinsamen Online-Veranstaltung, in der die Teilnehmenden ihre Ergebnisse aus den Gruppenarbeitsphasen präsentieren.

Wie sind denn die ersten Rückmeldungen von Lehrkräften?

Das Feedback ist positiv. Wir sind seit letztem Herbst noch in der Pilotphase und werten die Evaluationen aus dieser Zeit aus. Gut ist, dass die Dauer von vier bis fünf Wochen von den Teilnehmenden bis jetzt so angenommen wurde. Wir haben Lernpensum und -tempo erfragt und die Evaluationen zeigen, dass wir uns da um das Optimum herumbewegen, was mich sehr freut.

Gehen wir näher auf die Inhalte ein: Worum geht es denn in den fünf Modulen von Jugend präsentiert? Und funktionieren davon einige besser im Blended Learning-Format als andere?

Die übergeordnete Frage, die wir uns stellen ist: Funktioniert Blended Learning für das Format der Präsentation und den Lehrkräfte-Kontext? Blended Learning ist an sich kein brandneues Konzept, aber in unserem speziellen Kontext – Förderung der Präsentationskompetenz als Fortbildung für Lehrkräfte – betreten wir da schon ein relativ neues Feld.

Ich würde nicht sagen, dass ein Modul unbedingt schwerer zu vermitteln ist als ein anderes. Da ist die Kreativität der Methoden entscheidend. Eine Entscheidung, die wir aus den Präsenztrainings übernommen haben, ist die Verteilung der Module. Die rhetorische Situationsanalyse (Modul 1), der Medieneinsatz (Modul 4) und die Performanz (Modul 5) waren immer Teil des ersten Multiplikatorentrainings. Die rhetorische Situationsanalyse ist das, woran die wenigsten denken.

Worum geht es in der rhetorischen Situationsanalyse?

Die Zielgruppe ist sicher der wichtigste Bestandteil dieses Moduls. Aber auch der Raum, in dem ich präsentiere, ist entscheidend. Mit der Sitzverteilung in einem Präsenzkontext geht beispielsweise gelerntes Verhalten einher, dass bei mir das Rederecht liegt, die Aufmerksamkeit und Blickrichtung auf mich gerichtet ist. Wie Turn-Taking-Prozesse, also Sprecherwechsel, stattfinden hängt auch mit dem Raum, in dem präsentiert wird, zusammen. Gibt es Säulen oder andere Hindernisse, die Blickrichtungen unterbrechen können? Was verbinden wir generell mit dem Raum – Lehre und Lernen? Es kann sehr viel mit einer Präsentation machen, wenn sich der Raum verändert.

Die Zeit ist ein weiterer Bestandteil, außerdem meine Rolle als Redner:in sowie die Überlegung, welche Medien ich nutzen kann. Das heißt, in der rhetorischen Situationsanalyse reflektiere ich, wann und wo, vor wem und mit welchen Möglichkeiten ich auftreten kann.

Online wechseln sich synchrone und asynchrone Lernphasen ab. ©Gerhard Kopatz für Jugend präsentiert

Auch Teil des ersten Multiplikatorentrainings ist der Medieneinsatz.

Genau, hier steht die Frage im Fokus, welche digitalen oder analogen Medien ich nutzen kann. An welchen Kriterien kann ich mich bei der Gestaltung orientieren? Ziel ist beispielsweise eine gute Folie, die nicht nur gefällig aussieht, sondern auch eine Funktion, z. B. Wissensvermittlung, erfüllt.

Als drittes Modul im MT1 ist uns die Performanz, der Auftritt wichtig. Feedback geben zu Körpersprache und Stimme ist unter MINT-Lehrkräften nicht sehr typisch, obwohl insgesamt die Förderung der Präsentation in Bildungsplänen an vielen Stellen gefordert wird. Wir möchten den MINT-Unterricht da unterstützen.

Was passiert im Multiplikatorentraining 2?

Hier geht es um die inhaltliche Ausarbeitung der Präsentation: argumentativer Aufbau, sprachliche Gestaltung und ein weiteres wichtiges Thema: Feedback. Wir möchten für die Unterscheidung zwischen rückwärtsgewandter Bewertung und Feedback, das eher perspektivisch in die Zukunft gerichtet ist, sensibilisieren. Außerdem greifen wir in der Präsenzphase die Performanz auf und führen zusammen eine Übung aus, eine Art Karaoke. Dabei analysieren wir Körpersprache mithilfe von Kameraaufnahmen und vermitteln gleichzeitig, dass das auch als Unterrichtsmethode sehr sinnvoll ist, um in spaßigen Situationen auf die Körpersprache zu schauen.

Die Begleitforschung und die wissenschaftliche Anbindung an das Seminar für Allgemeine Rhetorik in Tübingen ist eine der Stärken des Projekts. Die Wirkungsmessung wird in den letzten Jahren immer bedeutender, aber Jugend präsentiert dachte das schon von Anfang an mit, oder?

Ja, evaluiert wurde bei uns schon immer im Trainingsbereich und im Wettbewerbsbereich unter den Schüler:innen. Mittlerweile arbeiten wir vor allem mit Online-Fragebögen, die wir zu bestimmten Zeitpunkten vor, während und nach den Trainings einbinden. Natürlich haben wir daran immer wieder etwas verändert und weiterentwickelt. Jetzt bei Blended Learning läuft die aktuelle Pilotphase bis März dieses Jahres, die uns Informationen liefert, wie der Trainingsansatz aufgenommen wird. Im weiteren Verlauf können wir unsere Fragestellungen immer präziser anpassen, um die Trainings im Blended Learning-Format fortlaufend zu verbessern und die Erkenntnisse in die Forschung zurückfließen zu lassen.

Wohin geht die Reise der Präsentationskompetenz? Wie könnten die Trainingskonzepte der Zukunft aussehen?

Die Frage ist sicherlich, wie sich die Digitalisierung im Bildungssystem weiterentwickelt. Seit diesem Jahr haben wir ein Projekt, das sich um Online-Präsentationen im Kontext der Wissenschaftskommunikation dreht. Da sehen wir, dass die Arbeitswelt der Wissenschaft nicht nur, aber eben auch online kommuniziert. Das wirft neue Fragen auf. Vorhin sprachen wir über die Kategorie Raum – in Online-Szenarien sind wir nicht nur räumlich voneinander getrennt, sondern da verschwimmen häufig auch privater und beruflicher Kontext miteinander. Wie werde ich da in meiner Rolle als Wissenschaftlerin wahrgenommen oder was hat das für Auswirkungen auf meine Autorität? Letztes Jahr ist das Gutachten zur Digitalisierung im Bildungssystem von der ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) entstanden – da sieht man eine komplette Veränderung des Lernens. Kommunikative Prozesse verändern sich und mit den technischen Möglichkeiten wiederum das Präsentieren.

Carmen Lipphardt, stellvertretende Projektleiterin von Jugend präsentiert ©Michael Pelzer

Und sonst noch?

Von großen globalen Trends wie der Künstlichen Intelligenz (KI) ist das Lernen natürlich auch geprägt. Seit letztem Jahr ist das Interesse an Tools wie ChatGPT sehr groß. Oft vergisst man, dass bei einer Power-Point-Präsentation auch schon KI mit am Werk ist. Ich kann mich beim Foliendesign unterstützen lassen oder Feedback beim Speaker Coach einholen. Als Präsentierende brauche ich also eine analytische Kompetenz, um entscheiden zu können, was passt und was nicht.

Mit KI kann man auch weiterdenken, wie man noch mehr Schüler:innen Feedback geben kann. Vielleicht mit einem Programm, das gezielt den Lernstand analysiert und direkt Rückmeldung gibt. Ich finde es wichtig, dass Jugend präsentiert als Projekt innovativ bleibt und wir die Lehrkräfte mitnehmen auf den neuen Weg. Nur dann haben wir die Chance, dass von diesen neuen Entwicklungen etwas bei den Schüler:innen ankommt.

 

Jugend präsentiert ist eine bundesweite Bildungsinitiative der Klaus Tschira Stiftung, Heidelberg, in Kooperation mit Wissenschaft im Dialog, Berlin. Die Initiative wurde 2010 ins Leben gerufen mit dem Ziel, die Präsentationskompetenz von Schülerinnen und Schülern weiterführender Schulen zu fördern. Jugend präsentiert richtet jährlich einen bundesweiten Präsentationswettbewerb aus und bietet kostenfreie Unterrichtsmaterialien und Lehrkräftetrainings an. An Grundschulen richtet sich die Initiative mit dem Programm Jugend präsentiert Kids. Die Materialien sowie die Trainings werden von einem Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen entwickelt und durchgeführt. Weitere Informationen: www.jugend-praesentiert.de

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