Klaus Tschira Stiftung fördert ein weltweites Forschungsprojekt des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung GEOMAR Kiel
Berlin/Kiel. Nahezu alles, was der Mensch macht, hat Auswirkungen auf die Umwelt. Beeinflusst möglicherweise künstliches Licht sogar Muscheln, Krebse und Seeigel im küstennahen Meer? Das möchte ein von der Klaus Tschira Stiftung über drei Jahre gefördertes Forschungsprojekt des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel herausfinden. Jeweils acht zweiköpfige, internationale Forschungsteams sind hierzu pro Jahr weltweit im Einsatz. Wie sie vorgehen, erklärt der Projektverantwortliche Mark Lenz.
Das Thema Kunstlicht und sein Einfluss auf die Aktivität und das Siedlungsverhalten mariner Wirbelloser klingt zunächst einmal exotisch – dann aber erstaunlich naheliegend.
Lenz: Genau. Dass künstliches Licht generell für Tiere Stress bedeuten kann, darüber machen sich die meisten Menschen keine Gedanken.
Was wollen Sie mit dem von der Klaus Tschira Stiftung geförderten Projekt herausfinden?
Lenz: Wir wollen für den speziellen Bereich der Küsten wissen, ob Lichtverschmutzung Auswirkungen auf Bodenlebewesen des Meeres hat. 25 Prozent dieser Regionen weltweit sind vom Licht aus küstennaher Bebauung beeinflusst. Und es gibt für das marine System noch so gut wie keine Studien über mögliche Auswirkungen. Man kennt negative Effekte auf Vögel und auf Insekten, aber im Meer ist das noch weitgehend unbekannt.
Wie gehen Sie vor?
Wir wollen das in drei Jahren an drei Aspekten untersuchen. Der erste ist der Einfluss von Kunstlicht auf „Weidegänger“. Das sind Lebewesen wie Schnecken, Seeigel oder Krebse, die Pflanzenmaterial fressen. Hier wollen wir herausbekommen, ob das Kunstlicht ihre Aktivitätsmuster verändert – zum Beispiel, weil sich für sie die Tageslänge ausdehnt. Es könnte sein, dass sie mehr fressen, weil sie mehr Zeit haben oder weniger fressen, weil sie nachtaktiv sind und das Licht meiden. Beides ist möglich und die Effekte können daher auch von Art zu Art verschieden sein.
Im zweiten Jahr wird es um Filtrierer gehen, also beispielsweise Muscheln oder Austern. Das ist völliges Neuland. Ohnehin weiß man sehr wenig über die Biorhythmen dieser Tiere. Dabei sind sie ungemein wichtig: Sie säubern das Meer, stabilisieren Küsten und schaffen Lebensräume.
Der dritte Projektteil dreht sich dann um das Siedlungsverhalten von Larven der Muscheln, Seepocken, Schnecken und anderer Tiere unter dem Einfluss von Kunstlicht. Das ist bislang weltweit nur an einem einzigen Ort untersucht worden. Bei Larven weiß man bereits, dass ihr Siedlungsverhalten positiv wie negativ von Licht beeinflusst wird. Hier könnte sein, dass unter dem Einfluss von Kunstlicht eine andere Artengemeinschaft entsteht als in natürlicher Dunkelheit.
Wie arbeiten Sie genau?
Lenz: Wir betreiben experimentelle Ökologie. Das heißt, wir machen Versuche, um Hypothesen zu testen. Normalerweise geschieht so etwas aber immer nur an einem Ort, in einem bestimmten Ökosystem. Bei GAME, kurz für „Globaler Ansatz durch Modulare Experimente“, dem Dach des Ganzen, führen wir methodisch identische Experimente in möglichst vielen, verschiedenen Ökosystemen gleichzeitig durch. Dadurch gewinnen wir ein viel umfassenderes, ein globales Bild der möglichen Effekte. Derzeit haben wir beispielsweise ein Teilprojekt in Malaysia, das heißt in der Nähe des Äquators, und eines in Finnland – also eine sehr weite Varianz. Es könnte sein, dass Lebewesen in hohen Breitengraden anders reagieren, weil die Unterschiede zwischen Winter und Sommer dort größer sind, als in den niedrigen Breiten.
Was macht Ihre Herangehensweise besonders?
Lenz: Entscheidend für dieses Projekt ist, dass Studierende diese Versuche machen, als Angebot in der forschungsbasierten Lehre. Jedes der GAME-Projekte besteht aus drei Phasen. Zunächst gibt es eine Vorbereitung, die einen Monat dauert. Da kommen alle Teilnehmenden ans GEOMAR. Die Studierenden müssen sich selbst über die Ausgestaltung Gedanken machen. Dabei lernen sie, Verantwortung zu übernehmen und Ressourcen zu planen. Am Ende wird ein gemeinsames Methodenprotokoll erstellt, mit dem sie dann losziehen an die verschiedenen Standorte. Dort sehen sie, was geht, was nicht, wo es zu improvisieren gilt.
Ich halte den Kontakt zu allen Teams und die Fäden zusammen, damit die Ergebnisse vergleichbar bleiben. Dann sammeln die Studierenden über sechs Monate Daten und kehren anschließend alle ans GEOMAR zurück. Hier werten wir die Daten aus, analysieren sowie visualisieren sie und diskutieren, was dabei herausgekommen ist – global und an den Einzelstandorten. Anschließend gibt es noch einen großen Block zum erfolgreichen Kommunizieren in der Wissenschaft. Dabei geht es um das Schreiben, aber auch um Vorträge vor unterschiedlichem Publikum.
Was sind das für Teams?
Lenz: Maximal 16 Studierende an acht Standorten. Für nächstes Jahr planen wir Teilprojekte in Kroatien, Malaysia, Japan, Spanien, Finnland, Island, Cap Verde und möglicherweise Chile. Australien, Südafrika und Brasilien sind derzeit wegen Corona noch schwierig. Es sind immer binationale Teams, jeweils jemand von einem der ausländischen Partnerinstitute und jemand von einer deutschen Universität.
Was für Aufgaben bekommen die Teams, beispielsweise in Malaysia?
Lenz: Dort müssen die beiden Team-Mitglieder erst einmal zwei Muschelarten finden, mit denen sie getrennte Experimente durchführen, um eigenständige Datensätze zu gewinnen. Die Muscheln müssen sie im Gezeitenbereich oder im flachen Wasser sammeln und dann den Versuch aufbauen. Das sind in diesem Fall LED-Systeme, mit denen das Kunstlicht im Labor erzeugt wird. Jede Person macht dann zwei Hauptversuche mit verschiedenen Lichtintensitäten. Gemessen werden dann die Aktivität und das Fressverhalten der Muscheln, im Hinblick auf Futtermenge und Zeiten.
Welche Fachrichtungen sind im Projekt vertreten?
Lenz: Die Biologie, die Umweltwissenschaften und verwandte Disziplinen wie Geoökologie, Umweltgeografie bis hin zu Agrarwissenschaften – aber alles im Bereich der Lebenswissenschaften.
Was wissen wir, wenn diese Projektförderung nach drei Jahren ausläuft?
Lenz: Wir wissen dann mehr darüber, was Kunstlicht in marinen Systemen bewirken kann. Das ist wichtig, um zu entscheiden, ob Schutzmaßnahmen notwendig sind. Wir können als Menschheit Kohlendioxid-Emissionen reduzieren, Nährstoffeinträge mindern, aber Licht zu reduzieren, ist sehr schwierig. Die Verbreitung von Kunstlicht entlang der Küsten wird in Zukunft noch zunehmen. Da können wir nur die Lichtquellen so verändern, dass sie möglichst wenig Auswirkungen haben. Die alten Quellen waren energetisch ungünstig, aber für die Tiere eher harmlos, weil sie ein Spektrum hatten, das dem des Sonnenlichtes nicht sehr ähnlich war. Die hellen, dem Sonnenlicht sehr ähnlichen LED-Leuchten haben da möglicherweise ganz andere Auswirkungen.
Ein Beispiel für das Gute im Schlechten und das Schlechte im Guten!
Lenz: Ja, genau. Was ich so faszinierend finde ist, dass die Länge des Tageslichtes, inklusive seiner jahreszeitlichen Schwankungen außerhalb der Tropen, eines der wenigen Phänomene ist, die sich im Laufe der Erdgeschichte nicht verändert haben. Temperatur, Sauerstoffgehalt, CO2-Konzentrationen, die Zusammensetzung des Lichts und auch seine Intensität, vieles hat sich verändert, aber die Tageslänge ist bis vor 150 Jahren gleichgeblieben, so lange, bis der Mensch sie durch Kunstlicht verlängert hat.
Zum Hintergrund:
Das GEOMAR:
Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ist eine der weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Meeresforschung. Aufgabe des Instituts ist die Untersuchung der chemischen, physikalischen, biologischen und geologischen Prozesse im Ozean und ihre Wechselwirkung mit dem Meeresboden und der Atmosphäre. Mit dieser Bandbreite deckt das GEOMAR ein in Deutschland einzigartiges Spektrum ab. Das GEOMAR ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts und wird von der Bundesrepublik Deutschland (90%) und dem Land Schleswig-Holstein (10%) gemeinsam finanziert. Es verfügt zurzeit über ein jährliches Budget von ca. 80 Mio. Euro und hat 1000 Beschäftigte (Stand 2020). Weitere Informationen unter: www.geomar.de
Die Klaus Tschira Stiftung
Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de
Kontakt:
Klaus Tschira Stiftung
Kirsten Baumbusch
Kommunikation
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69118 Heidelberg
Telefon: +49 (6221) 533-177
Mobil: +49 151-54317995
E-Mail: kirsten.baumbusch@klaus-tschira-stiftung.de
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