Hinter den Kulissen: Förderreferent Alex Seuthe über die neue Förderpraxis bei der Klaus Tschira Stiftung

© Kevin P. Hoffmann/Klaus Tschira Stiftung

Die Klaus Tschira Stiftung unterstützt Projekte künftig über sogenannte Förderlinien. Am Beispiel der Förderlinie „Scientific Software“ erklärt Alex Seuthe die Besonderheiten dieses Vorgehens. Außerdem gibt er einen Einblick in seine Arbeit als Förderreferent Forschung und seinen Weg in die Stiftung.

Lieber Alex Seuthe, Du bist Förderreferent im Bereich Forschung bei der Klaus Tschira Stiftung. Was macht man denn da so?

Alex Seuthe: In der Forschungsförderung sind wir ein Team von drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wir betreiben einerseits das Alltagsgeschäft der Klaus Tschira Stiftung auf inhaltlicher Basis, wollen aber auch Innovation, Fortschritt und Weiterentwicklung strukturell voranbringen.
 
Welcher Weg hat Dich in die Forschungsförderung geführt?

Alex Seuthe: Ich komme ursprünglich aus der Wissenschaft. Ich habe 2022 in Experimenteller Teilchenphysik in Dortmund und am CERN in der Schweiz promoviert und arbeitete anschließend weiter als Postdoc. Mein Ziel danach war eine Tätigkeit zu finden, die über die reine Forschung hinausgeht, sie aber auch nicht ganz verlässt. So bin ich in den Bereich Stiftung und Forschungsförderung gekommen.
 
Welche Erfahrungen aus Deinem bisherigen Werdegang helfen Dir bei Deiner jetzigen Tätigkeit?

Alex Seuthe: In der Forschung geht es darum, sich Wissen anzueignen, Probleme zu lösen und unerschrocken neue Wege einzuschlagen. Wir müssen außerdem sehr strukturiert arbeiten. Das liegt mir. Einerseits gilt es – was Zahlen, Fristen und Strukturen angeht – sorgfältig, fast pedantisch zu sein, andererseits muss man auch thematisch in die Breite schauen. Weil ich diesen Blick sehr schätze, habe ich in meinem Studium auch Wissenschaftsphilosophie studiert.

Außerdem ist mir und uns die Arbeit im Team sehr wichtig. Wir sind zu dritt in der Forschungsförderung, dazu kommen die Förderreferentinnen für Wissenschaftskommunikation und Bildung sowie unser Geschäftsführer für Forschung, Rafael Lang. Unsere kooperative Arbeitsweise ermöglicht es uns, in schnellen Schritten, eng verzahnt vorwärtszukommen.
 
Seit einiger Zeit gibt es in der Stiftung sogenannte Förderlinien. Was ist das und wie unterscheidet sich diese Förderung von anderen?

Alex Seuthe: Förderlinien sind das zentrale neue Instrument der Klaus Tschira Stiftung in der Projektförderung und im Fördermanagement. Sie dienen dazu, Projekte thematisch zu bündeln. Wir fördern nicht mehr allein auf Anfrage von außen, sondern setzen uns als Stiftung eine eigene Agenda, die unserem Leitbild und unserer Strategie entspricht. Die Förderlinien, die die Projekte bündeln, können wir dann auch en bloc evaluieren. Dabei geht es uns mehr um das Stiftungshandeln als um das Bewerten der Ergebnisse.
 
Warum fördert die KTS wissenschaftliche Software in einer eigenen Förderlinie?

Alex Seuthe: „Scientific Software“, wie die Förderlinie heißt, hat sich zu einem wichtigen Werkzeug für die moderne Forschung entwickelt. Man benötigt sie für komplexe Analysen, Simulationen, Modellierungen in quasi allen wissenschaftlichen Disziplinen – und doch steht ihre Entwicklung und Pflege vor großen Herausforderungen. Uns geht es dabei deshalb vor allem darum, nachhaltige, langfristig nutzbare und hochwertige Software zu entwickeln. Wichtig sind neben Effizienz und Qualität, auch Reproduzierbarkeit und Verfügbarkeit. Damit wiederum gehen die Transparenz der Methodik und letztlich das Vertrauen in die Wissenschaft einher.
 
Was heißt das konkret?

Alex Seuthe: In der Förderlinie geht es uns vor allem darum, wie Software überhaupt entwickelt und in der Forschungslandschaft verwendet wird. Wir fördern beispielsweise Projekte, in denen es sich um Standards, Qualitätssiegel und Bewertungssysteme dreht, ein weiteres, bei dem ein Preis für Forschungssoftware ausgelobt wird, und noch ein weiteres Projekt, bei dem ein Förderpartner ein Master-Curriculum für eine Ausbildung in diesem Bereich entwickelt. Nicht zuletzt ist auch die Konzeption eines Forschungssoftware-Instituts geplant. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, nicht nur in eine Richtung zu gehen, sondern das Ganze mit breitem Horizont zu betrachten.
 
Wie findet man solche Projekte?

Alex Seuthe: Wir haben zwei verschiedene Dinge gemacht. Zum einen hatten wir die klassische Ausschreibung online und über verschiedenste Kanäle. Überdies nutzten wir ein innovatives Werkzeug aus der Philanthropie, den sogenannten „Sandpit“. Das ist ein Workshop-Format, zu dem wir wichtige Personen aus dem Bereich eingeladen haben, um partizipativ die Förderlinie zu entwickeln. Im Nachgang konnten die Teilnehmenden sich dann neben anderen um konkrete Projekte bewerben.
 
Wie lange läuft die Förderlinie?

Alex Seuthe: Das Gros läuft drei bis vier Jahre, aber es gibt auch Projekte mit kürzerer Laufzeit. Ob es danach eine Neuauflage gibt, wird sich innerhalb dieser Zeit zeigen. Was wir uns wünschen, ist ein langfristiger Impact, also, dass die Wirkung nicht verloren geht, wenn das Projekt ausgelaufen ist.
 
Wenn es prima läuft, was haben wir dann am Ende der Förderung?

Alex Seuthe: Wir wünschen uns die Entwicklung und die Etablierung von erprobten Konzepten, Strukturen und Ressourcen. Das heißt, es soll komplexe und qualitativ hochwertige wissenschaftliche Software unterstützt werden. Ich würde es gerne sehen, wenn wir noch größere Wellen schlagen und auch größere Förderinstitutionen in der deutschen Forschungslandschaft erkennen, dass hier ein relevantes Feld mit großem Potential besteht.

 

Eine Aufstellung der geförderten Projekte

Bio-structure hub: AI biomacromolecular structure prediction

An der Universität Heidelberg soll ein zentraler „Bio-Structure Hub“ entstehen, der Forschenden die Nutzung von KI-gestützter Software zur Vorhersage biomakromolekularer Strukturen ermöglicht. Der Hub soll langfristig Softwarelösungen für die Lebenswissenschaften über die Universität Heidelberg hinaus bieten.

Projektbeteiligte
  • Dr. Inga Ulusoy (Universität Heidelberg)
  • Prof. Dr. Rebecca Wade (Heidelberg Institute for Theoretical Studies und Universität Heidelberg)

 

DELiVRing modularity, scalability and accessibility for an analysis pipeline

Ziel dieses Projekts ist die Optimierung der Deep-Learning-Pipeline DELiVR (Deep Learning and Virtual Reality mesoscale annotation), mit der Lichtblattmikroskopien (eine Art der Fluoreszenzmikroskopie) analysiert werden. Sie soll effizienter und zugänglicher werden, sodass sie auf handelsüblichen Laptops läuft und einer breiteren Community zugänglich wird. Begleitend werden Workshops, Leih-Hardware und ein Hackathon organisiert, um eine beständige Nutzer- und Entwicklergemeinschaft aufzubauen.

Projektbeteiligte
  • Prof. Dr. Ali Ertürk (Helmholtz-Zentrum München) zusammen mit Dr. Moritz Negwer und Dr. Johannes Paetzold

 

DiscoRSE – Discoverability of Research Software Engineering Open Educational Resources

Das Projekt DiscoRSE will die Auffindbarkeit und Nutzung offener Bildungsressourcen (OER) im Bereich Research Software Engineering (RSE) verbessern. Lernpfade sollen aufgezeigt, die Barrierefreiheit gefördert und die Arbeit von Autorinnen und Autoren angemessen gewürdigt werden. Durch Workshops, Podcasts, Social Media und eine Governance-Struktur soll das neue System langfristig in der RSE-Community etabliert werden.

Projektbeteiligte
  • Dr. Frank Löffler (Universität Jena)
  • Dr. Leyla Jael Castro (ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften)
  • Dr. Philipp Matthias Schäfer (Universität Jena)
  • Dr. Florian Goth (Universität Würzburg)

 

FutuRSI – deutsches Forschungssoftware-Institut

FutuRSI will ein deutsches Forschungssoftware-Institut planen und erproben, das als nationale Service-Infrastruktur die Entwicklung wissenschaftlicher Software unterstützen soll. Es legt den Grundstein für eine verstetigte, öffentlich finanzierte Institution, um beständige und qualitativ hochwertige Forschungssoftware zu ermöglichen.

Projektbeteiligte
  • Dr. Robert Speck (Forschungszentrum Jülich)
  • Dr. Frank Löffler (Universität Jena)
  • Zeki Mustafa Doğan (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen)
  • Daniel Krupka (Gesellschaft für Informatik)
  • Dr. Guido Juckeland (Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf)
  • Dr. Jan Linxweiler (de-RSE e.V.)

 

Improving Software Engineering Aspects for the ICON Model

Das ICON-Model wird zur Wettervorhersage verwendet. Um dessen Softwareentwicklung zu verbessern, sollen RSE-Praktiken, Onboardings und Trainingsmaßnahmen professionalisiert und damit zugänglicher werden. Die Förderung offener Entwicklungsprozesse sowie einer aktiven Community soll die nachhaltige Weiterentwicklung von ICON als zukunftsfähige Plattform für Wetter- und Klimamodellierung sicherstellen.

Projektbeteiligte
  • Dr. Hendryk Bockelmann (Deutsches Klimarechenzentrum)
  • Birte Heinemann (RWTH Aachen)

 

A Mentopolis for Research Software Development (RSD Mentopolis)

Mentopolis will die Basis für nachhaltige Lebenszyklen von Forschungssoftware schaffen. Unter anderem durch Stakeholder-Analysen und internationale Vergleichsstudien werden Anforderungen, Anreizstrukturen und Bildungsbedarfe untersucht. Im Zentrum stehen interdisziplinäre Zusammenarbeit, Community-Building und die Entwicklung von Schulungsmodulen für Forschende mit unterschiedlichstem technischen Hintergrund.

Projektbeteiligte
  • Prof. Dr. Michael Goedicke (Universität Duisburg-Essen)
  • Birte Heinemann (RWTH Aachen)
  • Dr. Michael Striewe (Universität Duisburg-Essen)

 

Research Software Engineering-Award

Mit dem RSE-Award soll ein Preis für herausragende Forschungssoftware entstehen, um Qualität, Sichtbarkeit und Anerkennung wissenschaftlicher Softwareentwickung nachhaltig zu fördern. So soll Forschungssoftware zu einem zentralen Element wissenschaftlicher Exzellenz werden.

Projektbeteiligte
  • Daniel Krupka (Gesellschaft für Informatik)
  • Prof. Dr. Anna-Lena Lamprecht (Universität Potsdam)
  • Dr. Jan Linxweiler (de-RSE e.V.)

 

Research Software Engineering-Master

Ziel dieses Projekts ist es, ein Referenzcurriculum für einen Masterstudiengang im Bereich Research Software Engineering zu entwickeln, in Pilotstudiengängen zu erproben und systematisch zu evaluieren. Damit soll die Ausbildung professioneller Entwickler wissenschaftlicher Software standardisiert werden. Nach Abschluss des Projekts wird eine Verstetigung des Curriculums in der Hochschullandschaft angestrebt.

Projektbeteiligte
  • Prof. Dr. Anna-Lena Lamprecht (Universität Potsdam)
  • Dr. Jan Linxweiler (TU Braunschweig)